Jubelmeldungen in den Medien: 2020 Anteil der erneuerbaren Energien am Brutto­stromverbrauch knapp 46 Prozent. Jedoch: Deutsche Stromimporte 2020 deutlich gestiegen.
Wie passt das zusammen? Muss nicht doch mehr Windkraft zugebaut werden?

Jubelmeldungen in den Medien: Anteil der erneuerbaren Energien zum 2020 in Deutschland erzeugten Strom ist auf knapp 46 Prozent gestiegen. Das zeigen vorläufige Berechnungen der AG Energiebilanzen. Im Vergleich zum vergange­nen Jahr ist der Anteil der erneuerbaren Energien in 2020 damit um fast fünf Prozent­punkte gestiegen, im Vergleich zum Jahr 2018 sogar um über neun Pro­zentpunk­te. Den größten Anteil an den Erneuerbaren hatte dabei die Windenergie mit 23,7%.

Demgegenüber steht die dpa-Meldung vom Dezember 2020: Deutschland hat 2020 deutlich mehr Strom importiert als in den vergangenen Jahren. Bis kurz vor dem Jahreswechsel (20. Dezember) flossen im kommerziellen Stromhandel knapp 33.000 Gigawattstunden ins deutsche Stromnetz. Das sind rund 36 Prozent mehr als im Jahr 2019, wie aus Zahlen der Bundesnetzagentur hervorgeht. Weil zudem weniger Strom ins Ausland verkauft wurde als im Vorjahr, ist der deutsche Strom-Exportüberschuss kräftig gesunken. Mit rund 17.400 Gigawattstunden war er nur noch halb so hoch wie 2019 (35.100 GWh). Zum Vergleich: Die Bruttostromer­zeu­gung in Deutschland betrug 2020 nach vorläufigen Zahlen 564.5 Terawattstunden.

Es ist sinnvoll, den Hintergrund dieser Meldungen etwas genauer zu betrachten. In manchen Me­dien war ergänzend zu lesen, dass der Anstieg des Beitrags der erneuerbaren wesentlich dem deutlich geringeren Verbrauch an elektrischer Energie zu verdan­ken ist. Die Zahlen bestätigen dies: Die Bruttostromerzeugung 2020 war mit 564,5 TWh um 6,5% niedriger als 2019 mit 603,5 TWh. Das erklärt einen großen Teil des Anstiegs. Hinzugekommen ist ein leicht gestiegener Beitrag der erneuerbaren Energien.

Höherer Anteil der erneuerbaren Energien in 2020 vor allem durch günstige Wetterverhältnisse

Ebenfalls in einigen Medien war zu lesen, dass für den höheren Anteil der erneu­erbaren Energien in 2020 vor allem die günstigen Wetterverhältnisse verantwort­lich waren (Windkraft auf 132,8 TWh (2019: 125,8 TWh) Fotovoltaik auf 50,4 TWh (2019: 45,1 TWh) Quelle: BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirt­schaft e.V.). Aus Abb. 1 ist ersichtlich, dass der höheren Beitrag der erneuerbaren Energien insbesondere dem ersten Quartal zu verdanken ist (grüne Kurve).

Abb. 1a: Stromerzeugung aus regenerativen Quellen (Wind Onshore und Offshore, Fotovoltaik, Biomasse und Wasserkraft) und konventionellen Kraftwerken (Braunkohle, Steinkohle, Erdgas, Kernenergie) sowie der tatsächliche Stromverbrauch im Verlaufe des Jahres 2020. Die zeitliche Auflösung beträgt einen Tag. Die Kurven stellen daher die mittleren Tageswerte der produzierten Stromleistung dar, wodurch der Tag- und Nachtrhythmus für die Stromerzeugung durch die Fotovoltaik nicht sichtbar ist. 
Abb. 1b: Mit der zeitlichen Auflösung von einer Stunde zeigt sich am Beispiel des Monats April auch der Tag und Nachtrhythmus für die Stromerzeugung durch die Fotovoltaik. Ebenso ist der nahezu gleich
­förmige Beitrag der Stromerzeugung aus Biomasse und Wasserkraft zu sehen so wie er sich auch während des gesamten Jahres darstellt.

Abb. 2 zeigt zudem, dass der höhere Beitrag der erneuerbaren Energien im ersten Quartal vollständig vom stark fluktuierenden Wind herrührt, also den Stür­men, die in den ersten drei Monaten von 2020 über Deutschland hinwegzogen.
Abb. 2: Stromerzeugung während 2020 aus Wind On- und Offshore sowie Fotovoltaik (zeitliche Auflösung von einem Tag)

 Man kann in Abb. 2 anhand der Einspeisespitzen aus Windenergie diese Sturm­tiefs gut nachvollziehen. Im Sommer sorgten relativ viele Sonnenstunden zudem für einen den Anstieg der Stromerzeugung aus Solarenergie.

Hohe Regelleistung muss durch konventionelle Kraftwerke zur Verfügung gestellt werden

Was man allerdings nicht in den Medien lesen kann und was aber wesentliche Konsequenzen für die elektrische Energieversorgung hat ist, dass für eine stabile Versorgung immer exakt genau so viel Strom eingespeist werden muss, wie auch genutzt wird. Da sich Strom nicht in großem Maße speichern lässt, muss die Strom­produktion aus konventionellen Kraftwerken die erheblichen Schwankun­gen der Wind- und Sonnenenergie ausgleichen, also die erforderliche Regel­leistung zur Verfügung stellen. Die Schwankungen des Beitrags allein der Onshore Windenergie zur Stromproduktion lagen im ersten Quartal 2020 zwischen 20 bis 30 GW innerhalb von 10 bis 20 Stunden. Durch die Schwankungen der Offshore Windenergie und dem Tag- und Nachtrhythmus des Solarstroms können die Schwankungen noch erheblich größer sein. So fiel z.B. der Beitrag der Windener­gie (On- und Offshore) von 41 GW am 13.3. um 12:00 auf 1,9 GW am 14.3. um 5:00 ab, also ein Abfall von ca. 39 GW in 17 Stunden. Nimmt man noch die 16,9 GW hinzu, die die Sonne an diesem Tag um die Mittagszeit beisteuerte und die nach Sonnenuntergang natürlicherweise ebenfalls wegfiel, mussten insgesamt 55,9 GW durch konventionelle Kraftwerke aufgefüllt werden, was der Leistung von ca. 70 Großkraftwerken entspricht! Damit die Stromproduktion aus Kohle­kraft­werken diese Schwankungen zeitgenau ausgleichen kann, müssen sie auf­grund ihres schwerfälligen Anfahrverhaltens auf Betriebstemperatur gehalten werden. Auch wenn ihr Strom nicht gebraucht wird, werden sie daher bei vermin­derter Leistung weiter betrieben bzw. sie können nur während einer sehr begrenz­ten Zeit abge­schal­tet werden. So können z.B. die heutigen Braunkohle­kraft­werke nicht unter 50 % Leistung gedrosselt werden, da sonst ihr Betrieb instabil wird.

Export und Import von Strom

Vergleicht man in Abb.1 die Stromproduktion mit dem tatsächlichen Stromver­brauch, so fallen deutliche Diskrepanzen auf, häufig wird entweder zu viel oder zu wenig Strom produziert. Ausgeglichen musste dies durch den Export des über­flüssigen oder dem Import des fehlenden Stroms.

Zu gering war die Stromproduktion während der Monate April bis Juli, insbeson­dere während der Einspeiseminima in windarmen Zeiten in den Abendstun­den, wo auch keine Solarener­gie mehr zur Verfügung stand. Am Beispiel des Monats April, der wie die folgen­den Monate sehr sonnenreich war, ist dies deut­lich zu sehen (Abb. 1b). Die Solar­einspeisung nahm während dieser sonnenrei­chen Monaten innerhalb von 7 Stun­den bis zu 35 GW ab. Es macht den Eindruck, als ob die konventionellen Kraftwer­ke mit dem Ausgleich des schnellen Abfalls der Solarenergie nicht nachkamen bzw. nicht genügend konventionelle Kraftwerkska­pa­zität zur Verfügung stand. Der fehlende Strom musste durch Stromimporte aus­ge­glichen werden, so dass in den Monaten April, Mai, Juni und Juli Deutschland mehr Strom einführte, als es ausführte.

Der höhere Beitrag der erneuerbaren Energien war 2020 insbesondere dem ersten Quartal zu verdanken. Dabei war der Februar der Monat mit der höchsten Einspeisung von Windstrom. Grund dafür waren die Sturmtiefs „Sabine“ und „Victoria“, die für eine besonders hohe Windeinspeisung (On- und Offshore) sorgten. Allerdings ist in Abb.1a auch zu sehen, dass insbesondere bei den Ein­spei­sespitzen deutlich mehr Strom produziert als verbraucht wurde. Da Strom nur bedingt speicherbar ist, muss er, damit das Stromnetz stabil bleibt, immer einen Abnehmer finden. Das geschieht durch den Export in benachbarte Länder wie Österreich, Luxemburg und Tschechien.

Es ist offensichtlich, dass ein wesentlicher Teil sowohl des Stromexports wie auch des -imports durch die erheblichen Schwankungen bei der Einspeisung von Wind- und Solarenergie verursacht wurde. Diese konnten durch konven­tio­nelle Kraftwerke mit ihrer geringen Flexibilität  bzw. möglicherweise durch feh­lende Kapazitäten nicht vollständig ausgeglichen werden.

Der grenzüberschreitenden Stromhandel im europäische Verbundnetz ermöglicht es daher insbesondere Deutschland, seine Ungleichgewichte zwischen Stromer­zeu­gung und -verbrauch auszugleichen, die durch den hohen Anteil der stark fluk­tu­ierenden Wind- und Solareeinspeisung entstehen und damit das deutsche Stromnetz stabil zu halten. Allerdings hat das auch seinen Preis.

"Negative" Strompreise

Angebot und Nachfrage bestimmen die Großhandelspreise für Strom. Damit das Stromnetz stabil bleibt, muss der Strom immer einen Abnehmer finden. Wird mehr Strom produziert als im Inland gebraucht wird, muss der Überschuss expor­tiert werden. Besteht dort aber kein Bedarf, kann es passieren, dass der Stromprodu­zent kein Geld dafür erhält oder noch dafür bezahlen muss, dass ihm sein produ­zierter Strom abgenommen wird - vornehm umschrieben als negativer Strom­preis. Aus Abb. 3 ist ersichtlich, dass der Strompreis im ersten Quartal häufig bei 0 EUR/MWh lag und negative Strompreise insbesondere im Februar (während der Sturmtage) aber auch im März auftraten. Allein im Februar haben die Stürme 76 Stunden mit negativem Strompreis verursacht, dafür wurden Zuzahlungen von ca. 22 Mio € geleistet. Auch für den nicht benötigten Strom wird eine EEG-Förderung fällig. Damit haben die Windstrom-Überschüsse allein im Februar volkswirt­schaft­liche Verluste in Höhe von etwa 300 Mio € eingefahren (Daten: Verband der europäischen Netzbetreiber, entso-e).

Abb. 3: Strompreisverlauf während des ersten Quartals 2020

Der Jubel der Medien über den höheren Anteil der erneuerbaren Energien in 2020, der vor allem den windreichen Monaten des ersten Quartals zu verdanken war, bekommt damit einen erheblichen Dämpfer:

Der Windstrom wurde nur teilweise gebraucht und musste verschleudert werden!

Andererseits waren auch während dieser Zeit für die riesigen Lücken zwischen den Stürmen die konventionellen Kraftwerke unab­ding­bar, wie auch für die Flau­ten im weiteren Jahr.
Negative Strompreise auf kurzfristigen Strommärkten können zudem entstehen, wenn eine hohe und unflexible Stromerzeugung auf eine gleichzeitig niedrige Nachfrage trifft. Eine besonders niedrige Nachfrage tritt oft an Feiertagen wie Ostern, Pfingsten oder Weihnachten auf. Beispielsweise waren am Ostermontag, den 13. April 2020, negative Börsenstrompreise bis zu minus 78 Euro/MWh zu bezahlen. Es traten aber im April noch weitere Negativpreise von bis zu minus 83,94 EUR/MWh auf.

2020 gab es an insgesamt 298 Stunden negative Preise, was eine deutliche Steigerung gegenüber 2019 mit 211 Stunden und 2018 mit 134 Stunden ist.

Auch die Maximalpreise, die für den Import von Strom bei Stromengpässen ge­zahlt werden mussten, zeigten eine erhebliche Steigerung. Bei einem Durch­schnittspreis von 30,47 EUR/MWh während 2020 lag der Maximalpreis bei 200,04 EUR/MWh, was ebenfalls eine erhebliche Steigerung gegenüber von 2019 mit 121,46 EUR/MWh und 2018 mit 128,26 EUR/MWh ist.

Kosten für die Netzstabilität bestimmt durch Windkraftanteil

In Abb. 4 sind die monatlichen Kosten für Netzsicherheitsmaßnahmen aufgetra­gen. Neben den Kosten für das Redispatching in Deutschland zählen auch die Kosten für multilaterale Abhilfemaßnahmen, unterbrechbare Lasten, das Ein­speisemanagement (vom Netzbetrei­ber vorgenommene Abregelung der Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien) und die Aktivierung von Reser­ve­strom.


Abb. 4: Monatliche Kosten für die Aufrechterhaltung der Netzstabilität während 2020.

Die Gesamtkosten in 2020 betrugen 1.13 Mrd. € . Aus der Abb. 4 ist zudem er­sichtlich, dass die niedrig­sten Kosten während der Sommermonate anfielen, wo Solar­energie der dominan­te regenerative Energieträger ist. Der Tag- und Nacht­rhythmus der Solarenergie ist relativ gut planbar, so dass die Netzbetreiber in dieser Zeit kaum zu kurzfristi­gen Netzeingriffen gezwungen waren. Die höchsten Kosten traten in den windrei­chen Monaten während des ersten Quartals auf. Die Ursache ist, dass die Wind­kraft der am häufigsten vom Einspeisemanagement betroffener Energieträger ist und etwa 90% der dafür anfallenden Kosten verur­sacht.

Muss nicht noch mehr Windkraft zugebaut werden?

Es wird immer wieder gefordert, das Kohlekraftwerke vom Netz genommen wer­den sollen. Gaskraftwerke sollen nicht zugebaut werden, da sie ebenfalls CO2 emittieren und damit der Energiewende im Wege stehen. Damit einhergehend sollen die wegfallenden Kraftwerkskapazitäten durch regenerative Energien ins­besondere durch einen entsprechenden Zubau von Windkraft ausgeglichen werden. Die Medien machen sich diese Forderungen häufig unhinterfragt zu eigen.
Um die Konsequenzen einer weiteren Vergrößerung der installierten Wind­kraft­kapazität noch einmal zu verdeutlichen, wurde eine Verdopplung der 2020 installierten Windleistung (ca. 63 GW Nennleistung, On- und Offshore) simu­liert. Dabei wurden die gleichen Windverhältnisse, der gleiche Stromver­brauch sowie der gleiche Beitrag der anderen regenerativen Quellen wie in 2020 zugrun­de gelegt.
Der Verlauf der daraus resultierende Stromproduktion durch die Windkraft (Abb. 5) zeigt, dass von einem möglichen Ersatz von konventionell erzeugtem Strom durch Windstrom überhaupt nicht die Rede sein kann, nicht einmal eine Tendenz dazu ist erkennbar.

Abb. 5 : Stromerzeugung aus Wind, Biomasse und Wasserkraft bei Verdopplung der installierten Wind-Nennleistung gegenüber dem Jahr 2020 bei gleichen Windbedingungen. Der Beitrag aus der Fotovoltaik wurde übersichtlichkeitshalber weggelassen.

Im Gegenteil: Es treten nach wie vor ausgeprägte Einspeiseminima bei schwa­chem Wind auf (z.B. das Minimum der Stromproduktion aus regenerativen Quel­len vom 18. Juli 2020, 21:00 mit etwa 7,6 GW hat sich nur unwesentlich auf 8,2 GW erhöht (Datenquelle: Smard.de)). Auf der anderen Seite haben sich die Lei­stungsspitzen verdoppelt (z.B. ein Maximum der Stromproduktion aus regene­rativen Quellen am 11. Februar, 14:00 von 59,2 GW hat sich auf nunmehr 103,1 GW erhöht). Die Schwankungen der Stromproduktion beispielsweise von der On­shore Windenergie liegen im ersten Quartal nun zwischen 40 bis 60 GW inner­halb von 10 bis 20 Stunden verglichen mit 20 bis 30 GW in 2020. Zudem liegen die Spit­zen des produzierten Stroms häufig deutlich über dem Verbrauch. Hinzu kommt noch die nicht angezeigte Solareinspeisung, die die Schwankungen z. T. noch verstärkt ohne die Minima auszugleichen.

Auch bei einer Verdopplung der 2020 installierten Windleistung würde nach wie vor die gesamte konventionelle Kraftwerksleistung benötigt, um auch bei schwa­chem Wind und wenig Sonne die Strom­versorgung sicher zu stellen.

Andererseits wären häufigere und stärkere kurzfristige Eingriffe in das Netz (Redis­patch und Einspeisemanagement) erforderlich, um die Stabilität des Netzes zu sichern, wenn dies unter den genannten Bedingungen überhaupt noch möglich ist.

Ob
bei einer Verdopplung der installierten Windleistung die Stabilität des Netzes noch sicher gestellt werden könnte, ist äußerst fraglich. Auf jeden Fall  würden die jetzt schon hohen Kosten für die Systemstabilität erheblich zuneh­men.

Hinzu kommt, dass durch die erforderlichen Einspeisemanagementmaßnahmen, d.h. vom Netzbetreiber vorgenommene Abregelung der Einspeisung von Strom aus Windkraft zur Nezstabilisierung effektiv wesentlich weniger Windstrom eingespeist würde als möglich wäre, so dass mit der Verdopplung der installierten Windleistung keine Verdopplung des tatsächlich eingespeisten Windstroms einhergehen würde.



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