Dr. Philipp Wolf
Der Schwarzwald ist keine tote Kulisse, der Schwarzwald
lebt. Seine Höhenlagen stellen einzigartige, montane bis hochmontane
Bereiche dar, die durch eine enge Verzahnung von offenen und
bewaldeten Bereichen gekennzeichnet sind. Über Jahrhunderte hat sich
hier ein wertvolles Ökosystem entwickelt, welches Rückzugsraum für
besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten ist. Besondere regionale
Bedeutung haben Vogelarten wie Auerhuhn, Rotmilan, Wanderfalke,
Baumfalke, Wespenbussard, Waldschnepfe oder Uhu.
In den letzten Jahrzehnten wurde der Wert des Schwarzwaldes als
Kultur- und Naturlandschaft erkannt. Es ist den Schwarzwälder
Gemeinden gelungen, durch Ausweisung von Schutzgebieten sowie
aufwändigen Monitoring und Pflegemaßnahmen, die dortigen natur- und
artenschutzrechtlichen Interessen mit wirtschaftlichen und
touristischen Interessen zu vereinen.
Haben Windkraftanlagen irgendeinen
Einfluss auf die Pflanzen- und Tierwelt, also auf das Ökosystem des
Schwarzwalds?
Der privilegierte Bau von Windrädern (WKA) in Baden-Württemberg führt
aktuell jedoch dazu, dass massiv in die bestehenden Ökosysteme
eingegriffen wird, was bei anderen Bauvorhaben undenkbar und auch
schlicht verboten wäre. Inzwischen sind auch Naturschutzgebiete,
Landschaftsschutzgebiete, Auerwildgebiete, Wildkorridore,
Bodenschutzwälder und Wasserschutzgebiete, wertvolle natur- und
artenschutzrechtliche Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, vor
dem Bau oder dem Einfluss von WKA nicht mehr geschützt.
Bei der Planung von WKA sind rund 30 Vogel- und rund 25
Fledermausarten zu berücksichtigen, die streng geschützt sind und als
windkraftempfindlich gelten. Der Schutz dieser Arten gegen Tötung oder
Störung muss laut Bundesnaturschutzgesetz sowie
EU-Vogelschutzrichtlinie gewährleistet sein. Ausnahmen davon können
nach §45 (7), 5 BNatSchG nur gemacht werden, wenn (1) “ein
öffentliches Interesse besteht“, (2) „keine zumutbaren Alternativen
gegeben sind“ und (3) „sich der Erhaltungszustand der Populationen
einer Art“ dadurch nicht verschlechtert.
Durch den Bau von WKA wird doch der
Klimawandel gebremst. Der Klimawandel bringt einen viel höheren
Schaden für die Natur als der Bau von WKA ?
Ein öffentliches Interesse wird oft damit begründet, dass durch den
Bau von WKA der Klimawandel gebremst werden könnte. Der Klimawandel
würde zukünftig einen viel höheren Schaden für die Natur bringen als
der Bau von WKA. Deshalb müsste man beim WKA-Bau auch entsprechende
„Kollateralschäden“ an der Natur mit einprogrammieren. Stattdessen
sind zwei Dinge zu bedenken. Erstens hat sich gezeigt, dass der Bau
von WKA per se keinen Beitrag zur CO
2-Reduktion in
Deutschland und damit zum Klimaschutz beiträgt. Denn die CO
2-Emissionen
sind in den letzten Jahren trotz Zubaus tausender WKA nicht
zurückgegangen. Zweitens muss man sich fragen, was man künftig vor
dem Klimawandel noch schützen möchte, wenn lokale oder regionale
Tierpopulationen durch WKA ausgelöscht wurden.
In einer repräsentativen Umfrage des EMNID-Instituts 2015 sprachen
sich 80% der Befragten gegen den Bau von Windkraftanlagen (WKA) im
Wald aus. 67% gaben außerdem an, dass für sie der Schutz von Vögeln
und anderen Tieren Vorrang vor dem Bau von WKA hat. Dies zeigt, dass
die Bürger ein feines Gespür für die Belange der Natur haben und kein
allgemeines öffentliches Interesse daran besteht, dem Bau von WKA
entsprechenden Vorrang zu geben.
Man kann diskutieren, welchen Einfluss WKA in einer kahlen,
abgeräumten, intensiv genutzten Feldflur haben. Im struktur- und
artenreichen Schwarzwald ist dieser Einfluss immens. Durch den Bau
riesiger Zuwegungen und großer Betonfundamente verlieren wertvolle
Böden ihre Funktion als Erosionsschutz und Lebensraum. Durch Lärm und
Blinklichter wird die umgebende Natur tagaus tagein empfindlich
gestört.
Stumme Opfer sind insbesondere Vögel und Fledermäuse, für die die
Betontürme und Rotoren, die zehntausende Quadratmeter Fläche
überstreichen, gefährliche Fallen bilden. Wie Untersuchungen gezeigt
haben, kann das Orientierungsvermögen von Fledermäusen durch
Ultraschall-Emissionen von WKA beeinträchtigt werden. Ebenso sind
diese Tiere insbesondere durch sog. „Barotraumata“ gefährdet, wenn sie
in Unterdruckgebiete von WKA gelangen. Ihr Körper reagiert dabei mit
einer Volumenzunahme luft- oder gasgefüllter Körperräume. Dadurch
kommt es zur Zerstörung der Lungen und anderer Organe, die zum
Verenden der Tiere führt. Laut wissenschaftlichen Studien kommen in
Deutschland rund 1.200 Greifvögel und rund 250.000 Fledermäuse durch
Windkraftanlagen ums Leben. Die Dunkelziffer dürfte aufgrund folgender
Faktoren weitaus höher liegen: zunächst können Vögel oder Fledermäuse
durch Rotorschlag weit in unübersichtliches Gelände geschleudert
werden, wo sie nicht gefunden werden, verwendete Tiere werden schnell
von Raubtieren gefressen und Fledermäuse mit Barotrauma können noch
mehrere Minuten oder Stunden leben, ehe sie verenden.
Wie steht die Politik in
Baden-Württemberg Politik zu den Beeinträchtigungen des Natur- und
Artenschutzes durch die Windkraft ?
In den von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz
Baden-Württemberg (LUBW) herausgegebenen Planungshilfen zum Bau von
WKA kann in den letzten Jahren eine systematische Unterhöhlung des
Natur- und Artenschutz beobachtet werden. So werden
EU-Vogelschutzgebiete per se nicht mehr als Tabuzonen von WKA
anerkannt. Zudem wird z.B. die Waldschnepfe (Scolopax rusticola), die
nach einer Studie im Nordschwarzwald als äußerst windkraftempfindlich
eingestuft wird, in den LUBW-Leitlinien nicht berücksichtigt. Hinzu
kommt, dass entgegen des „Helgoländer Papiers“, das von der
Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) in
Zusammenarbeit mit den Bundesländern verabschiedet wurde, der Abstand
des Rotmilanhorsts zu einem WKA in B.-W. statt der empfohlenen 1.500
Meter nur 1.000 Meter betragen muss. Begründung: Der Rotmilan im
Südwesten würde sich anders verhalten als in anderen Bundesländern und
in der „reich strukturierten“ und „geomorphologisch
abwechslungsreichen Landschaft“ Baden-Württembergs ausreichend
Nahrungshabitate im „zumeist näheren Umfeld seines Horstes“ finden.
Dabei wird verkannt, dass in den zahlreichen Studien mit besenderten
Rotmilanen, die der Abstandsempfehlung vorausgingen, (logischerweise)
keinerlei Unterschiede im Flugverhalten in unterschiedlichen
Bundesländern festgestellt wurden. Auch der vermeintliche Schutz des
Rotmilans in B.W. durch sog. „Rotmilan-Dichtezentren“ - in der
Öffentlichkeit als „Tabuzonen“ für WKA benannt – wird durch eine
5-seitige Bauleitplanung der LUBW „für WKA innerhalb (!) von
Rotmilan-Dichtezentren“ konterkariert. Hinzu kommt, dass behördlich
angeordnete „Ausgleichmaßnahmen“ nur selten ihren Zweck erfüllen, da
sie weder gefährdete Arten adäquat schützen, noch so weit entwickelt
sind, dass sie schon zu Beginn eines WKA-Betriebs greifen. Es drängt
sich also der Eindruck auf, dass die natur- und artenschutzrechtliche
Bauleitplanung in B.- W. in Sachen Natur- und Artenschutz an
wirtschaftlichen Interessen der Windindustrie ausgerichtet sind und
Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien nicht angemessen
berücksichtigt wurden.
Baden-Württemberg hat im Deutschland-weiten Vergleich mit die
schlechtesten Windverhältnisse für WKA. Die Windkraftindustrie drängt
deshalb besonders in die hochgelegenen Regionen, wo jedoch auch die
größten natur- und artenschutzrechtlichen Konflikte
vorprogrammiert sind. Für diese Branche, die sich vermeintlich dem
Umweltschutz verschrieben hat, stellt der Natur- und Artenschutz damit
ein großes Planungshindernis dar. Die Erfahrung zeigt, dass sie
deshalb auch bemüht ist, dieses mit allen Mitteln zu beseitigen.
Es müssen doch avifaunistische
Gutachten (Untersuchungen von fliegenden Tieren: Vögel und
Fledermäuse) im Rahmen eines WKA-Bauvorhabens erstellt werden, wozu
dienen diese dann ?
Was sind also avifaunistische Gutachten (Untersuchungen von fliegenden
Tieren: Vögel und Fledermäuse) im Rahmen eines WKA-Bauvorhabens wert?
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass diese Gutachten in der Regel von
den Vorhabenträgern in Auftrag gegeben und bezahlt werden. Zahlreiche
Beispiele aus unserer Region belegen, dass diese Gutachten oft nicht
der Norm entsprechen (z.B.im Hinblick auf den Untersuchungsumfang)
und Risikoeinschätzungen bei verschiedenen Vogel- oder
Fledermausarten falsch sind. Zudem gibt es Fälle, dass
Abschaltzeiten, die aus natur- und artenschutzrechtlichen Gründen
erlassen wurden, vom Betreiber nicht eingehalten werden – auch weil
die Behörden ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen. So drehen sich
die Windräder in Dämmerungsstunden, während Fledermäuse besonders
aktiv sind oder wenn gerade die Heuernte in der Umgebung der Windräder
erfolgt und dadurch Rotmilane und andere Raubvögel angelockt werden.
Ebenso wird durch gemeldete Todfunde an WKA, die seit mehreren Jahren
in Betrieb sind, deutlich, dass man von einem (von den WKA-Betreibern
oft propagierten) Gewöhnungseffekt von Greifvögeln gegenüber WKA nicht
ausgehen kann.
Dieser tote Rotmilan wurde im August 2015 bei der WKA
Weissmoos gefunden. Die Untersuchung des Vogels zeigte, dass die
Todesursache ein stumpfes Trauma war, das offensichtlich durch
die Rotorblätter des Windrads verursacht wurde.
Wenn in der Bauplanung von WKA natur- und
artenschutzrechtliche Verstöße oder falsche Gutachten vorliegen,
haben Naturschutzverbände ein Einspruch- und Klagerecht. Diese
finden erfahrungsgemäß jedoch nur allzu selten Anwendung. Ein
Hintergrund ist, dass Ausgleichsmaßnahmen, die im Zuge eines Baus
von WKA geleistet werden müssen, direkt den Naturschutzverbänden
zugutekommen. Damit profitieren die Naturschutzverbände direkt vom
Bau von WKA. Folglich muss in Frage gestellt werden, ob sie noch in
ausreichender Form ihrer Aufsichtspflicht bei der Planung und
Genehmigung von WKA gerecht werden. Viele Naturschützer sind wegen
dieser modernen Form des „Ablasshandels“ aus den Verbänden
ausgetreten und haben sich teilweise wieder neu organisiert.
WKA sind Industrieanlagen, deren Errichtung auf den Höhen des
Schwarzwaldes mit zu großen Risiken für die dortige Natur verbunden
ist. Gerade im Hinblick auf die vorhandene oder zu erwartende
Unwirtschaftlichkeit der meisten Windräder sind solche Eingriffe
auch nicht gerechtfertigt. Eine vernünftige, naturschonende
Gewinnung erneuerbarer Energien durch Sonne, Wasser und Holz passt
zum Schwarzwald, die Windkraft nicht. Gerade jetzt, da viele
gefährdete Tierarten unseres besonderen Schutzes bedürfen, stellt
der Bau von WKA in ihren letzten, unberührten Refugien des
Schwarzwaldes einen „Tabubruch“ dar.
Schwarzwald Vernunftkraft sieht wie auch andere Bürgerinitiativen
die Natur als tragende Säule und wesentliches Element unserer
einzigartigen Landschaft an. Sie wird sich deshalb auch in Zukunft
mit aller Kraft für die Belange des Natur- und Artenschutzes in
unserer Region einsetzen.